Das Negerkussbrötchen-Ritual
Wenn ich mich an meine, zugegeben schon etwas zurückliegende Schulzeit erinnere, dann fällt mir neben langweiligen Deutsch-, und grandiosen Sportstunden sowie peinlichen Referaten vor allem eines ein: Das "Große-Pause-Negerkussbrötchen". Ok, heute heißen sie Schokokuss-Brötchen, aber damals durfte man sie beim Bäcker eben noch politisch völlig unkorrekt unter dem alten Namen bestellen.
Etwas peinlich ist es mir ja schon, dass das Negerkussbrötchen scheinbar so bestimmend für meine Schulzeit war. Sicher ist auch vom Unterricht das eine oder andere hängen geblieben. Aber das Ritual, in der ersten großen Pause zum Bäcker zu gehen, das war für mich einer der ersten Schritte in die Selbstständigkeit. Das traut man so einem kleinen Brötchen gar nicht zu, aber genauer betrachtet gab es für mich gar keine andere Möglichkeit.

Die von zu Hause mitgenommenen Graubrote mit Käse, Wurst oder auch mal kaltem Omlett schmeckten zwar, aber irgendwie aßen "alle" in der Pause die mitgebrachten Brote. Das war, heute würde man sagen: "uncool!". Einen Schulkiosk, der Alternativen geboten hätte, gab es nicht.

Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer
Man war also den Broten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, wäre da nicht der in 5 Minuten erreichbare Bäcker gewesen. Natürlich war es verboten, das Schulgelände unerlaubt zu verlassen, aber was ist spannender, als es trotzdem zu tun? Für andere hat diese Funktion wahrscheinlich eher die Zigarette vor dem Schultor gehabt, aber auch die Raucher fanden sich regelmäßig beim Bäcker ein. Negerkussbrötchen bieten also scheinbar doch mehr Geschmack von Freiheit und Abenteuer als es Zigaretten zu tun vermögen. Natürlich hatte der Bäcker auch andere Dinge im Angebot. Kuchen - aber der erinnerte irgendwie zu sehr an den langweiligen sonntäglichen Kaffeebesuch der Verwandtschaft. Und Süßigkeiten? - Waren doch was für die Kleinen.
Frisch gepresst...
Man würde dem Negerkussbrötchen jedoch nicht gerecht werden, wenn man seinen Erfolg alleine dem Freiheitswunsch der Jugendlichen zuschreiben würde. Die Zubereitung des Brötchens gehörte unabwendbar zu dem Pausenritual dazu. Nie wäre es uns in den Sinn gekommen, ein fertiges Negerkussbrötchen zu kaufen. An die Sicherheit der Bäckersfrau, die die Brötchen mit einem Schnitt zerteilte und das sanfte Knacken, wenn der Schokoüberzug unter dem Druck der beiden Brötchenhälften nachgab, erinnere ich mich noch heute gerne. Auch wenn Negerkussbrötchen nicht unbedingt in die Kategorie "ausgewogene Ernährung" fallen, so gäbe es für mich auch heute als Schüler keine andere Alternative.

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